Schwarzmeerdeutsche

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Schwarzmeerdeutsche werden die Bewohner ehemals deutscher Siedlungen am Nordufer des Schwarzen Meeres auf dem Gebiet der heutigen Ukraine genannt. Seit 1765 wanderten viele Deutsche aus West- und Südwestdeutschland, seit 1789 auch westpreußische Mennoniten in die nördliche Schwarzmeerregion ein. In Neurussland wurden viele Siedlungen im Süden des damaligen Russischen Kaiserreichs nahe der Hafenstadt Odessa gegründet. Wegen ihrer gemeinsamen Geschichte werden Schwarzmeerdeutsche zu den Russlanddeutschen gezählt.

Geschichte

Das südrussische Gebiet hatte Katharina II. durch zwei Kriege mit dem Osmanischen Reich (1768–1774) und der Annexion des Krimkhanats (1783) für das Russische Reich hinzugewonnen. Durch den Frieden von Jassy fiel auch das dünn besiedelte Gebiet zwischen Südlichem Bug und Dnister an Russland. In diese Region wanderten auch zahlreiche aus dem Osmanischen Reich ausgewanderte Bulgaren, Griechen und Rumänen ein.

Die ersten deutschen Auswanderer aus dem Südwesten (Württemberg, Baden, Elsass, Lothringen, Pfalz) trafen 1803 ein, gerufen vom russischen Kaiser Alexander I. Sie kamen ab Ulm auf Ulmer Schachteln auf der Donau bis Galatz. Es waren neun Transporte mit etwa 1.100 Personen, darunter die Hälfte Kinder. Ab Galatz ging es auf dem Landweg weiter nach Dubossary. Die Reisezeit betrug rund 80 Tage. Nach einer Quarantänezeit ging es weiter nach Odessa, wo sie das Neurussische Fürsorgekontor betreute.

Ansiedlung
Der 17. Oktober 1803 gilt als Gründungstag der schwarzmeerdeutschen Kolonien bei Odessa. Kaiser Alexander I. kaufte an diesem Tag Land für die Kolonisten an. Im Frühjahr 1804 entstanden Großliebental und Kleinliebental als erste Ansiedlungen. Später folgten in der Nähe Neuburg, Peterstal und Josefstal. 1805 entstanden Alexanderhilf, Frankfeld, Mariental und Lustdorf. 1806 kam Freudental hinzu.

1808 erfolgte eine zweite Einreisewelle aus Baden und dem Elsass, die zur Gründung der Kolonistenbezirke Glückstal und Kutschurgan führte. Im selben Jahr entstanden Neudorf, Bergdorf und Glückstal. Die russische Regierung hatte bereits die Einwandererquote auf 200 Familien im Jahr gesenkt, um alle Neuansiedler sachgerecht versorgen zu können. Für weitere Kolonisten besorgte der russische Generalgouverneur Herzog von Richelieu Land am Kutschurganer Liman (Кучурганський лиман). Dort entstanden 1808 die Kolonien Kandel, Selz und Straßburg.

Da 1808 etwa 500 weitere Auswandererfamilien unterwegs waren, stellte die russische Verwaltung Siedlungsland am Fluss Beresan bereit. Dort entstanden 1809 die Siedlungen Landau, Speyer, Rohrbach. 1810 wurden Worms, Sulz, Karlsruhe, Rastatt und München gegründet.

Das Siedlungsgebiet der deutschen Auswanderer war nicht so kompakt angelegt wie das Wolgagebiet, sondern das Kerngebiet einer ganzen Kette von Kolonien. Die russische Verwaltung stellte den deutschen Auswanderern zwischen 1804 und 1809 rund 72.000 Desjatinen Land zur Verfügung.

Landwirtschaft und Viehzucht
Die Gesellschaft der Schwarzmeerdeutschen war agrarisch geprägt. Die Auswanderer wirtschafteten anfangs fast ausnahmslos als Landwirte auf Boden, den ihnen der russische Staat zur Verfügung gestellt hatte.

Zur Haupteinnahmequelle wurde der Getreideanbau, da das Getreide vom Schwarzmeerhafen in Odessa bis 1859 zollfrei ausgeführt werden konnte. Die günstigen Produktions- und Absatzbedingungen bei Getreide sorgten für wirtschaftlichen Wohlstand und führten zur Gründung von weiteren Siedlungen. Angebaut wurden auch Gemüse, Wein und Obst. In der Tierhaltung waren Bienen, Seidenraupen und Merinoschafe dominierend. In Odessa ließen sich viele ausgewanderte deutsche Handwerker nieder. Daraus gingen später Fabriken für landwirtschaftliche Maschinen und Geräte hervor.

Kirche und Schule
Die Kirche bildete den Mittelpunkt des kulturellen Lebens der Schwarzmeerdeutschen. Praktisch trug der Gebrauch von Bibel und Gesangbuch dazu bei, dass die deutsche Sprache in der Fremde erhalten blieb. Der Schulunterricht für die Kinder war eng mit der Kirche verbunden, da es nur eine Kirchenschule gab. Im 20. Jahrhundert gründeten die Kolonisten auch höhere Schulen.

Ende der Kolonistenprivilegien und erneute Auswanderung
Seit der Einwanderung hatten die Siedler den privilegierten Status von Kolonisten. 1871 wurde der Kolonistenstand aufgehoben und die Siedler waren den übrigen russischen Bürgern gleichgestellt. Die Einführung der 6-jährigen Wehrpflicht ab 1871 führte zu einer Auswanderung von etwa 15.000 Mennoniten in die USA. In den Jahren 1871–1915 wanderten etwa 79.000 evangelische und 37.500 katholische Schwarzmeerdeutsche in die USA aus. Auswanderungsziele waren auch Kanada, Australien, Argentinien und Brasilien.

20. Jahrhundert
Während des Ersten Weltkrieges unterlagen die Schwarzmeerdeutschen einer starken Diskriminierung, weil man sie der Zusammenarbeit mit dem Feind in Form der Deutschen verdächtigte. Gleichzeitig versahen etwa 250.000 deutschstämmige Kolonisten Dienst in der russischen Armee. Sie kämpften jedoch nicht an der deutsch-österreichischen, sondern an der türkischen Front. Nach der Oktoberrevolution waren die politischen Verhältnisse im Schwarzmeergebiet aufgrund des Bürgerkrieges über Jahre instabil. 1918 hielten sich kurzfristig deutsche und österreich-ungarische Truppen in der Ukraine auf, von denen sich die Schwarzmeerdeutschen dauerhaften Schutz erhofften.

„Als 1918 deutsche Truppen nach Südrußland kamen und bis in den Kaukasus vordrangen, entdeckten sie schmucke deutsche Dörfer, ja ganze deutsche Gebiete. Sie wurden hier mit grenzenlosem Jubel empfangen. Ihrem Volkstum treu, hatten die deutschen Ansiedler im Weltkrieg Unsagbares zu erdulden gehabt und konnten erst nach dem Zusammenbruch des Zarismus aufatmen. Die ersten 40 Kolonistenstudenten, die sich freiwillig zum deutschen Heeresdienst gemeldet hatten, und im Herbst 1918 in Deutschland eintrafen, waren ihrer Abstammung nach fast lauter Schwaben und wurden in Tübingen, Stuttgart bzw. Hohenheim untergebracht. Nach dem Umsturz im November 1918 gerieten sie, von ihren Angehörigen völlig abgeschnitten, in große Not, die sie veranlasste, sich zu Zweckverbänden für wirtschaftliche und kulturelle Belange zusammenzuschließen. Mit Unterstützung des Deutschen Ausland-Instituts und des Vereins für das Deutschtum im Ausland konnten sie ihre Studien fortsetzen und erfolgreich abschließen.“
– Das Akademische Deutschland, Berlin 1931, Bd. II, S. 1039.

Nach dem Abzug des deutschen Heeres stellten die Kolonisten eine Selbstschutztruppe auf, die 1919 die Rote Armee aus deutschen Siedlungsgebieten mit Waffengewalt vertrieb. 1920 kehrte die Rote Armee zurück und fügte dem deutschen Selbstschutzverband mit 500 Mann schwere Verluste zu, so dass sich die Truppe nach Polen zurückzog. Danach wurde die Sowjetmacht installiert und die Deutschen verloren daraufhin weitgehend ihr kulturelles Leben. Auch das kirchliche Leben war unterbunden und Kirchenbauten wurden als Lagergebäude zweckentfremdet. Trotzdem blieben ihre geschlossenen Siedlungen weitgehend erhalten. Die Bolschewiki übten vor allem Druck auf die wohlhabenden Bauern (Kulaken) aus. Im Rahmen der Sowjetisierung kam es zur Zwangskollektivierung der Landwirtschaft und der Verstaatlichung von Betrieben, was in einigen Dörfern der Schwarzmeerdeutschen zu Unruhen führten. Mehrere zehntausend Deutsche verlangten während der Säuberungen um 1929 die Ausreise, während Deutschland nur rund 6.000 Personen vorübergehend aufnahm.

Verfolgungen in den 1930er Jahren
Während der Nationalsozialistischen Herrschaft im Deutschen Reich wurden die Schwarzmeerdeutschen der Spionage und der Konterrevolution verdächtigt. Die meisten deutschen Familien waren von Verhaftungen und Verbannungen betroffen. 1936 wurden alle deutschen Schulen in der Ukraine geschlossen, Lehrkräfte wurden verhaftet und Ukrainisch wurde als Unterrichtssprache eingeführt. Die Religionsverfolgungen unter Stalin hatten katastrophale Folgen für das kirchliche Leben der Schwarzmeerdeutschen. Kirchen und Gebetshäuser wurden geschlossen und teilweise auch abgerissen. Geistliche wurden verschleppt und erschossen, darunter auch Bischof Alexander Frison am 20. Juni 1937.

Kriegsverschleppungen
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs umfasste die Volksgruppe der Schwarzmeerdeutschen rund 326.500 Menschen (darunter 52.300 Männer, 107.800 Frauen und 166.400 Kinder), die in 228 Dörfern lebten. In den ersten Kriegsmonaten waren etwa 18.000–40.000 Personen von Deportationen ins Innere der Sowjetunion betroffen. Nur wenige der verschleppten Männer haben ihre Verschleppung mit Kälte, Hunger, schwerer Arbeit sowie willkürliche Erschießungen überlebt. Die relativ geringe Zahl der Verschleppten beruht auf dem schnellen Vorrücken der Front beim Angriff auf die Sowjetunion im Juli und August 1941. Nach dem Durchzug der Front gehörten die Schwarzmeerdeutschen zu dem von Rumänien eingerichteten Gebiet Transnistrien. Ende 1941 erhielten sie in ihrem Siedlungsgebiet weitgehende Autonomie von der rumänischen Verwaltung und unterstanden dem Sonderkommando R mit Sitz in Landau, das zum Hauptamt Volksdeutsche Mittelstelle (VoMi) gehörte.

Umsiedlung, Flucht und Vertreibung
Als den deutschen Siedlungsgebieten um Leningrad, aus Ingermanland, Weißrussland, dem Nordkaukasus, der Kalmückensteppe, aus der Ostukraine, aus den Städten (Cherson, Nikolajew, Nikopol, Kiew, Charkow, Kriwoj Rog, Melitopol, Mariupol, Dnjepropetrowsk, Kirowograd, Saporoshje), aus Transnistrien und Shitomir sowie die verbliebenen Krimdeutschen (960) die Wiedereroberung durch die sowjetische Armee drohte, begannen die SS-Dienststellen die Deutschen als Administrativumsiedlerin sieben Aktionen in „volksdeutsche Bereiche“ umzusiedeln. Die deutschstämmigen Bauern stellten Trecks zusammen, mit denen rund 228.000 Personen ins „Altreich“ und in den Reichsgau Wartheland (Warthegau) gelangten.

Die sogenannte Schwarzmeeraktion betraf als fünfte Aktion der Umsiedlungsaktionen rund 73.000 deutschstämmige Personen und dauerte von August 1943 bis Mai 1944.
Die größte und siebte Aktion war die Rückführung der Transnistriendeutschen, die ca. 135.000 Personen betraf. Die Aktion begann im Februar 1944 und endete Anfang Juli des Jahres. Am 14. März 1944 wurde der Befehl zum Abmarsch für das erste deutsche Dorf gegeben und am 28. März 1944 hatten die letzten Volksdeutschen ihre Heimat verlassen.
In zwei Trecks (Nord- und Südtreck) ging es in Richtung Westen. Sie kamen nach rund drei Monaten im Warthegau an. Dort erreichte sie im Winter 1945 erneut die Rote Armee. Die Schwarzmeerdeutschen flüchteten wie die übrigen dort lebenden Deutschen in Flüchtlingstrecks Richtung Westen. Damit teilten sie das Schicksal vieler anderer Heimatvertriebener nach der Flucht in die vier Besatzungszonen auf deutschem Boden. Die Dorfgemeinschaften und teilweise auch die Familienverbände hatten sich aufgelöst.

Wer nicht nach Westen fliehen konnte und in den Einflussbereich der Roten Armee kam, wurden von der Sowjetunion vereinnahmt. Diejenigen, die in den Westen flohen, aber dort nicht untertauchen konnten, wurden von den Westalliierten (Briten und US-Amerikanern) als Displaced Person den sowjetischen Militärbehörden ausgeliefert; wenn sie einem der fünf Kriterien der Konferenz von Jalta entsprachen, wurden sie ohne Rücksicht auf ihre individuellen Wünsche zwangsrepatriiert.

In den Augen Josef Stalins galten alle sowjetischen Bürger, die sich während des Zweiten Weltkriegs aus welchen Gründen auch immer zeitweise außerhalb des UdSSR aufgehalten hatten, als „Vaterlandsverräter“ und „engste Kollaborateure des Naziregimes“ und sollten dementsprechend behandelt werden.

Im Rahmen der Operation Keelhaul wurden zwischen 1943 und 1947 rund zweieinhalb Millionen Menschen, die aus dem Gebiet der Sowjetunion stammten, dorthin zurückgeschickt. Viele dieser Menschen kamen ums Leben, durch Selbstmord oder auch durch Hinrichtung. Andere wurden, entgegen dem Versprechen wieder in der alten Heimat angesiedelt zu werden, in „neue Ansiedlungsgebiete“, vor allem nach Sibirien und nach Kasachstan gebracht und dort in Sondersiedlungen oder Arbeitslager (Trudarmee) eingewiesen.

Eine Rückkehr nach Deutschland blieb ihnen lange verwehrt, weil die Sowjetunion sie als sowjetische Flüchtlinge ansah. Eine Heimkehr in ihr früheres Siedlungsgebiet am Schwarzen Meer war ihnen ebenso nicht erlaubt. Viele wurden in Viehwaggons gewaltsam nach Kasachstan deportiert und kamen von dort erst in den 1980er Jahren als Spätaussiedler nach Deutschland.

Siedlungsgebiet

Oder siehe interaktive Karte

Städte/Siedlungen

  • Glückstal
  • Jekaterinoslaw
  • Berdjansk
  • Prischib
  • Molotschna
  • Kronau
  • Chortiza
  • Beresan

Einwohnerzahl

1803
1.100

1943
73.000

Weiter Informationen

Das Schwarzmeergebiet und die Schwarzmeerdeutschen
Karten und Dorfpläne von mennonitischen Orten in Russland
200 Jahre Ansiedlung der Deutschen in Russland (PDF)

Literatur

Das Kastanienbäumchen: Geschichte einer Schwarzmeerdeutschen

Links/Quellen

https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzmeerdeutsche